Tag1: Fettnäpfchen-Parcour oder von Magdeburg ins Knäckebrot-Castle

Im letzten Jahr fiel die beschauliche Fahrradtour mit meiner lieben Frau ins sprichwörtliche Wasser. Dabei hatte ich so viel Herzblut in die Planung gesteckt. Wir wollten die Kommunarden des Ökodorfes Siebenlinden besuchen und sie bei ihrem autonomen Leben beobachten. Auch hatten wir gleich nebenan und als totalen Kontrast völkische Siedlergemeinschaften entdeckt. Umtriebige Volksgenossen, die Brezeln flechten, germanische Bräuche pflegen und zur Reinheit des Blutes aufrufen. Die die Waldorfpädagogik unterwandern und sich aus merkwürdigen Kapitalquellen nähren. (Ich habe viel darüber er geschrieben.)

Wir wollten also die ideologischen Untiefen von Sachsen Anhalt und Brandenburg erkunden. Allerdings, wie geschrieben, wurden wir fortgespült. Nicht von braunen Entgleisungen, sondern von einem fiesen Dauerregen, der selbst meine unerschütterliche Naturliebe zu Fall brachte.

Statt von Helmstedt aus zu starten, fuhren wir nach Wittenberge, weil dort der Regen sich eine Pause gönnte. Eine kurze nur. Nach einer nassen Nacht im Zelt legten wir einen Parforceritt im Fahrradsattel hin. Mir schmerzen heute noch die Glieder, wenn ich daran denke.

An die Länge, an die Kälte, an meine versagende Schaltung und das ausfallende Bremssystem. Ja, das war nicht schön! Und für meine liebe Frau, die ich doch von den Vorzügen einer Fahrradtour und von einem einfachen Leben in der befreiten Natur überzeugen wollte, war das auch nicht erbaulich.

Ich musste sie lange beschwatzen, um in diesem Jahr einen neuen Versuch zu starten. Schon Wochen im Voraus stellte sie immer neue Bedingungen. Weil das wunderbare Beherbergungsverbot aufgehoben war, wollte sie plötzlich im Hotel schlafen. Die Nächte im Zelt und in der Wildnis zu verbringen, schien ihr verboten und nicht attraktiv. Sie wünschte sich einen „normalen“ Mann, dabei hatten wir uns geeinigt, dass das Wort „normal“ nicht mehr zu gebrauchen sei.

Wir starteten in Magdeburg an unserem Hochzeitstag. Hochzeitstage bergen emotionale Momente und sind hochexplosiv. Frauen erwarten an solchen Tagen viel mehr, als so ein armer Mann geben kann. Rosen und Liebe und Zuneigung und so was. Ich war schon im Vorfeld vorbereitet und zu Opfern bereit, aber ich wollte wenigstens überraschend sein.

Magdeburg ist eine merkwürdige Stadt. Bislang konnte ich ihr wenig abgewinnen. Da ist zum Beispiel die reichlich zerstörte Innenstadt. Wieder aufgebaut mit WBS70 und Stalinbauten. Oder dieser Dialekt, der fast schon an den Hallenser heranreicht. Und dann auch noch der etwas schlichte Ministerpräsident, als Entsprechung für all meine Vorurteile. Wenn er spricht, möchte ich am liebsten wieder mein Pionierhalstuch umbinden.

Wir wühlten uns in Magdeburg an endlosen Baustellenabsperrungen vorbei und an einer Kreuzung erlebte ich, was ich von dieser Stadt erwartete hatte. Es röhrte kräftig und ein dicklicher Typ fuhr im Hochstart mit seinem Motorrad davon. Mannomann! Das war ja wie auf dem Dorf.

Trotzdem wurde es noch schön. An der Elbe entlang kann man die Stadt schnell vergessen. Es gab ein ein goldenes Licht und ich hatte eine glückliche Frau, die immer neue „Posts“ in ihre Frauengruppe schickte. Was sie da schreibt, weiß ich nicht genau, aber es müssen abenteuerliche Berichte über einen schrecklichen Mann sein.

Die Frauen ihrer Chatgruppe fiebern mit, wenn sie das dick bepackte Fahrrad auf den Bildern betrachten müssen. Wenn meine liebe Frau von den langen Tourenabschnitten berichtet, oder dass sie abends in ein winziges Bergzelt kriechen soll.

Ich hoffe nur, dass es mir nie wie Johnny Depp gehen wird. Dass ich nicht wegen psychischer Gewalt angeklagt und meines Vermögens beraubt werde. Gut, dass mein Vermögen so überschaubar ist!

Am Elbufer passierten wir einen Ausstellungspark, in dem das neue deutsche Wohnen zur Schau gestellt wurde. Nomaden der Straße! Endlose Reihen mit Wohnmobilen aller Größenordnungen. Platziert auf einem hässlichen und heißen Platz. Man hatte Campingstühle in die schmalen Parklücken gestellt, sprach über die unverschämten Spritpreise und über Motorstärken. Über Innenausbauten, geheime Stellplätze in der freien Natur oder die ideale Küchenzeile zur artgerechten Haltung der Ehefrau, damit sie auch im Wohnmobil das traute Heim und den müden Fahrer gut bekochen kann.

Als wir den Mittellandkanal erreichten, entdeckte meine liebe Frau plötzlich schicke Pensionen. „Ob ich sie denn nicht einmal überraschen wolle??“, stellte sie fordernd in den Raum.

Ich gab schnell „Gas“, damit das Gezetere hinter mir blieb. Ich wurde dann von hinten als ignorant beschimpft, und dass doch unser Hochzeitstag sei! Und ob ich denn kein Herz im Leibe hätte.

Ich ertrug das alles. Stoisch und geübt.

Schließlich hatte ich eine Überraschung geplant. In Burg passierten wir die Knäckebrotbäckerei und bogen in eine schmale Gasse ab. Eine Kiesauffahrt brachte uns zu einer prächtigen Villa.

Den Abend feierten wir dann beim Griechen an der Ihle und wir residierten in einem Salon als Schlafzimmer. Mit einem Park davor und einem Springbrunnen und einer weißen Sitzgarnitur und einem großzügigen Bad und einem abgeschlossenen Bücherschrank, in dem ich ein Buch aus der Reihe „Verbotene Liebe“ entdecken, aber nicht erreichen konnte.

Plötzlich war ich ein Göttergatte. Ein liebenswertes Exemplar, dass sogar noch für Überraschungen gut sei. Nach all den Jahren. Amen!

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