Kleine Brötchen oder Oscar und die Rettung der mobilen Welt…

Ich sitze jetzt viel, lese schlechte Bücher und überlege immerzu, wie ich dem Sitzen entkommen kann. Das geht gut mit den Händen und den Armen. Alles, was über den Füßen kommt. Ich hänge mich in meine Ringe und an mein Campusboard.

Außerdem hat mir mein Nachbar gestern aus Mitleid ein Rad gebracht. Nichts besonderes. Eine lieblos zusammengestückelte Möhre. Nichts daran passt zueinander. Nur der Rahmen ist alt. Ob ich es haben möchte? Ich habe ein Herz für Räder, aber an diesem Ding war nicht mal ein Sattel dran.

Eine Sattelstütze für 10 Euro war mir der Spaß dann doch wert.

Meine liebe Frau wurde unruhig.

Drei Räder stehen in unserem Keller, vier im Schuppen, zwei auf Arbeit und fünf in der Uckermark. Mehr muss man nicht schreiben, um die Unruhe meiner lieben Frau zu begreifen.

Aber ich musste ja sitzen und meine Hände brauchten Arbeit. Das war ja erlaubt!

Also schraubte ich alle Teile ab und schaute mir den nackten Rahmen an. Irgendwas aus den 70ern. Stahl. Gemufft und dilettantisch mit weißer Farbe zugekleistert.

Ich kratzte ein wenig am Lack herum. Grün wäre nicht schlecht, dachte ich. Greenwich-Grün. Und die Muffen ganz blank gemacht, als Kontrast. So geht das immer los mit meiner Sucht.

Ein richtig schickes Urban Bike fehlt ja noch in meiner Sammlung.

Außerdem war Oscar zu Besuch.Oscar kommt aus den Tiefen Mexikos. Er bekochte mich mit meiner lieben Tochter. Seit drei Tagen schon. Oscar konnte nicht Rad fahren.

Die Glaubensgemeinschaft der Rad fahrenden Menschen braucht immer neue Gläubige.

Für ihn konnte ich etwas Altes retten und Neues schaffen. Das Rad war die Zielprämie. Das Oscar-Urban-Bike.

Und dann war da noch mein Rentnerprojekt. Schaffen für die Nachbarschaft. Und für sehr gute Freunde. Räder vom Feinsten. Nachhaltig und für immer gemacht. Das Label war auch schon kreiert. „Oldbutgold“ oder „Flotter Opa“. Wegen mir auch „Flotte Oma“. Das passt zu Vintage. Ich will mich gegen den Wahn der elektromobilen Unvernunft stemmen, die im Rad nur einen neuen Wegwerfmarkt entdeckt hat.

Meine liebe Frau ist gerade Opfer geworden. Das gehypte Label VanMoof ist Pleite gegangen und ihr app-gesteuertes Rad ist nicht mehr steuerbar. VanMoof wollte das Apple unter den Rädern sein, mit Showrooms, individualisiertem Zubehör, mit einem Sorgloswerkstattservice und einem Verfolgungsdienst bei Diebstahl. Nun ist VanMoof krachend gescheitert und die Räder sind nutzlos. Der Powerknopf boostet ins Leere.

Meine Retrobikes haben mindestens 50 Jahre auf dem Buckel. Die brauchen keine App und keinen Stecker. Zwei habe ich schon gebaut und nun kommt Oscar dran. Das Oscar-Bike soll auch noch in 50 Jahre rollen, um an den alten gehbehinderten Barfußläufer zu erinnern.

Auch meine Urne soll mit dem Rad zur Grabstätte gerollt werden. Das wird mein Vermächtnis sein. Ich will auf einen Friedhof liegen, wo man man mit dem Rad fahren kann. So wie in Dresden. Leonora, meine Kleinste, hat dort auf einem Woombike Radfahren gelernt. Alle reichen Kinder haben jetzt ein Woombike.

Ich will auf einen Radfahrerfriedhof liegen. Wer will sich schon als aufrechter Radler neben einem Autofahrer betten. Ein Radfahrerfriedhof wäre auch ein gutes Zeichen gegen den Autowahn. Dann wird offenbar, wie und wo gestorben wird. Auf jeden Grabstein kommen die Unfallkoordinaten. Wer seine Unfalltoten besuchen kommt, kann in der ansässigen Werkstatt gleich noch eine Rad-Wartung kassieren. Mit freiwilligem Beitrag zu Gunsten der Prozesskosten gegen die Autolobby. Ein Extraareal ist nur für Rennfahrer gedacht. Da sterben genug. Und eins für Mountainbiker. Ich liege im Gründungsväterhain.

Meiner lieben Frau habe ich meinen Businessplan noch nicht offeriert. Aber ihr graust schon. Sie kennt mich ja gut. Sie sieht sich umzingelt von Fahrradteilen, verfolgt von einer Glaubensgemeinschaft, die mich ehren will und erdrückt von meiner chaotischen Ordnung, die ich hinterlassen habe.

Meine liebe Frau ist sehr ordentlich. Meine liebe Frau fährt Auto. Sie ist die Verräterin in meinem Bett.

Mir Oscar als Alibi konnte ich meinen perfiden Plan in Stellung bringen.

Greenwich-Green was nice und Oscar, der wirkliche Oscar, machte draußen auf der Straße Fortschritte. Es ist sicher nicht leicht, mit 29 Jahren Radfahren zu lernen.

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