Der letzte Rest einer verlorenen gehenden Männlichkeit…

Wer alt wird, hat entweder viele oder keine Freunde (mehr).

Natürlich wird es zum Ende hin sowieso etwas „dünner“, aber diesen biologischen Ausdünnungsprozess oder die Einsamkeit der Übriggebliebenen meine ich nicht.

Es geht vielmehr um die Kunst, im Alter offen und neugierig zu bleiben und hier habe ich viel von meinem Freund R. gelernt. R. ist schrullig, aber ich mag ihn. Ich mag seine Kerzen, Kuchen, Deckchen und die 10 Taschen, die er immer dabei hat. Ich mag seine Jubelschreie und die heftigen Umarmungen. Und: R ist auch ein echter Menschenzusammenführer!

R. hat mich mit vielen neuen Menschen zusammengebracht. Mich, den Eigenbrötler und Bergsteiger, der gewohnt war, in Zweierseilschaften zu denken. Zwei sind perfekt, drei möglich und bei Vieren ist einer zu viel. Das war mein Credo bis ich R. kennenlernte. Nun sind wir ein großer Kreis an Männern, die ihre Kindheit und Jugend wieder entdecken wollen. Wir schlafen in Zelten, kentern mit Schlauchbooten auf wilden Flüssen und geben uns im Winter auf Schiern die Kante. Das, was man eben so macht, wenn man alt wird und es nicht wahrhaben will.

Meine eigentlichen und ehrwürdigen Freunde jedoch gibt es auch noch. Wir bleiben die magischen Drei.

Unsere Loge tagt zweimal im Jahr. Im Winter und im Spätsommer. Das sind heilige Termine, die nur der Tod beenden kann.

Im Winter gehen wir so weit in die Höhe oder nach Norden, bis wir auf Schnee stoßen. O. ist da allerdings kaum noch dabei. Nur für die Wassersuche im Spätsommer ist er zu haben.

Meistens geht es dabei nach Polen. In diesem Jahr allerdings nur in die Uckermark.

Wir sind stilrein im September 55 Kilometer mit dem Kajak auf dem Wasser und 15 Kilometer auf dem Land unterwegs gewesen. By fair Means. Das heißt, kein Auto! Normal ist ja, dass die sogenannten Kanuten mit ihren Autos die Boote umsetzen, um bequem vom Auto aus in die Luke zu schlüpfen. So eine Sauerei kommt uns nicht ins Haus. Der Mensch hat schließlich Beine zum Laufen und einen Kopf, um kreativ zu sein.

Wir starteten in meinem Heimatdorf und ließen uns auf der ersten 6 Kilometeretappe von Autofahrern verspotten. Denn man erntet Sprüche aller Art, wenn man fernab vom Wasser mit einem Boot durch den Wald läuft.

In Mahlendorf gingen wir mit den Booten für 6 Kilometer aufs Wasser. Aber nur bis zum Abfluss des Künstrinchensees, denn dort scheiterten wir am Klimawandel. Es fehlten 10 Zentimeter am zulässigen Pegel. Das ist für diese Jahreszeit Rekord. Wir zogen die Boote 3 Kilometer durch den Wald. Über Wurzeln und Wege, die die Wildschweine kürzlich umgegraben hatten. Als wir versuchten, aufs Wasser auszuweichen, scheiterten wir wiederum an zahllosen Biberdämmen. Und als wir ziemlich entnervt die geplante Biwakstelle, eine alte Folterstelle für sündenfällige Mönche, erreichten, residierte dort schon eine Horde Berliner.

Wir sahen ihre Bushcraftausrüstung und die paramilitärischen Zeltbauten und wussten, dass wir hier nicht bleiben konnten. Lieber im Sumpf versinken, als neben Menschen schlafen, die sich wie Urmenschen gebärden, mit Handstöckchen Feuer machen wollen und permanent über ihre Ausrüstung philosophieren.

Unser Übernachtungsplatz lag gleich um die Ecke an einer alten Floßgasse, die man im Namen des Naturschutzes und des Bauordnungsamtes trocken gelegt hatte. Früher war diese Stelle ein Kleinod. Man konnte selbst im Hochsommer mit viel Wasser eine Schräge hinunterrutschen und in einem großen Bassin baden. Heute fließt da nix mehr und das Bassin ist eine Schlammsuhle geworden. Um die Floßgasse herum hatte man einen neuen Bachlauf gegraben. Wie sich solche Eingriffe mit dem Naturschutz vertragen weiß ich nicht. Und wahrscheinlich wissen das die „Gräber“ es auch nicht. Wahrscheinlich ging es nur um die Sperrung einer Gefahrenstelle aus sicherheitsrelevanten Bedenken heraus. Bei den Bedenken sind wir Deutschen ja richtig gut.

Am nächsten Tag zogen wir an Lychen vorbei und landeten in den Hausbootgewässern. Im Hochsommer ist hier die Hölle los, aber jetzt, Ende September, war es erträglich. Hinter Himmelpfort biegt man für 25 Kilometer in die Havel ein, bis man in den Templiner Gewässern landet. Die Havel schlängelt sich durch ihr ursprüngliches Flusstal. Zur Schiffbarmachung um die Wende zum 20. Jahrhundert wurden die Ufer befestigt und 4 Schleusen auf diesem Abschnitt gebaut. Das linke Ufer diente 40 Jahre lang der Russischen Armee als Übungsgebiet. Als die Truppen Deutschland in den 90ern verließen, gab es Hinterlassenschaften aller Art. Vergrabene Munition, ganze Pontonbrücken und sogar Panzer sollen schon gefunden worden sein. Um die Kosten für die Munitionsräumung nicht aufbringen zu müssen, werden solche Gebiete zu Reservaten oder Wildnisgebieten erklärt. Niemand würde Gebiete mit unkalkulierbaren Risiken erwerben wollen und deshalb sind solche Gebiete auch ein Paradies. Biwakieren ist geduldet, weil es keine Kläger bzw. Eigentümer gibt. Es herrscht absolute Ruhe und es gibt viele Tiere, die hier seit 40 Jahren unbehelligt Leben können.

Gestört wird die Stille nur von den immer größer werdenden Charterbooten und den immer ungeduldiger werdenden Privatkapitänen. Zwischen Charter- und Privatkapitänen herrscht ein echter Krieg in den wir Kanuten uns nicht einmengen.

Denn wir Kanuten gehören zur absoluten Unterklasse. Wir sind das Sperrholz in der Schleuse. Wir sind die Gesetzlosen, die keine Ampel beachten und damit die Signale der Kapitäne sabotieren. Wenn wir die Schleuse noch bei „Rot“ verlassen, wird der elektronische Ruf der Kapitäne anulliert und das macht Spaß. Sie müssen noch länger warten, um die oberen Havelgewässer mit ihrer mörderischen Präsenz zu verpesten. Motorboote, die das Ufer ausschwemmen und für die keine Steuern zu zahlen sind. Motorboote, die sich das Geld für die Marinas sparen und lieber im Schilfgürtel nächtigen. Jeder Paddler muss blechen, aber so ein prächtiges Boot wird geduldet. Kanuten wünschen sich immer wieder kleine Torpedos oder Drohnen, mit denen sich Ruhe schaffen lässt. Aber wir sind zu alt für diesen Terror.

Wir überlegten, ob es nicht umweltfreundlicher sei, sich an den Schleusentoren festzukleben. Allerdings sind die Schleusen so abgelegen, dass man da ziemlich lange kleben müsste, bevor eine Polizistin mit ihrem Ölflächchen angebraust kommt. Wahrscheinlich würde man uns vorher totschlagen. Hobbykapitäne sind in ihrer Gewaltbereitschaft nicht zu unterschätzen. Schließlich vergewaltigen sie auch tagtäglich die Natur.

Wir schafften es, friedlich in die Templiner Gewässer abzubiegen. In Kannenburg wird eine alte Schleuse neu gebaut. Vor dieser fertigen Schleusen liegen zahllose hungrige Hausboote, die nach den seit Jahren unberührten Templiner Seen dürsten. Zuerst hat man jedoch ein zu großes Schleusentor geliefert und nun sind die Bolzen zu schwach. Die Schleuse sieht schön aus, aber sie funktioniert nicht. Welche Freude. Kanuten tragen einfach um und sie drehen dabei den Hausbootpiloten eine lange Nase.

Als wir nach zwei Stunden die Templiner Stadtschleuse erreichten, schlug das Schicksal zurück. Wir wurden via Kamera als Habenichtse enttarnt und sollten 4 Stunden auf die nächste Schleusung warten. Zweimal riefen wir den Service an. Da standen also ein Oberarzt, ein international anerkannter Insektenforscher und ein Experte für erzählende Literatur vor einem Kameraauge und wurden zu Habenichtsen erklärt, die mit ihren kleinen Booten nicht den Strom für eine Schleusung wert sind.

Oh wie gerne hätte ich diese Servicemitarbeiter irgendwo im fernen Berlin durch diese winzige Linse gezerrt. Ich wollte meinen entblößten Hintern vor die Kamera halten, aber am Ende hatte dieser sich langweilende Servicemitarbeiter noch Freude daran. Frustriert zogen wir die Boote eine steile Böschung hinauf zum Stadtsee hinüber. In das Manöver versenkte ich meine ganze Wut. Früher hätte man sich so einen Hanswurst noch vorknöpfen können. aber heute ist alles sauber digital. Die können in Berlin, in Indien oder sonst wo sitzen.

Unser Zeitplan war jetzt ins Wanken geraten. Bald würde es dunkel sein. Vom Strandbad her winkte eine griechische Einladung herüber und ich bekam Lust auf eine fleischlastige Küche, kitschiges Interieur und diesen Schnaps, der sofort in die Birne steigt. Vor dem Betrinken brauchten wir einen Schlafplatz. Templin mausert sich aber, ein Berliner Vorort zu werden. Die Millionäre sind schon da. Sie haben sich riesige geschmacklose Villen am Stadtsee gebaut. Im Angesicht dieser Parvenüs wollten wir schlafen. Ausgerollt unter einer Weide auf der Wiese eines ehemaligen Schwimmbades aus den 30ern, das jetzt verwaist war, aber bald für Beliner Diplomatenkinder zu neuem Leben erwachen soll.

Und ja, wir betranken uns etwas, wir paddelten bei Dunkelheit über den See, wir schliefen im Angesicht der Größenwahnsinnigen in unser winzigen Hütte und fuhren am nächsten Tag zurück in unser bürgerliches Leben. Wir drei als der letzte versprengte Rest einer verloren gehenden Männlichkeit….

Ein Gedanke zu “Der letzte Rest einer verlorenen gehenden Männlichkeit…”

  1. Lieber Robert, „schrullig“ ist ja ganz schön heftig für mich; aber Grit hat mir diese Bewertung in Teilen bestätigt. Na ja: da muss ich wohl mal über mich nachdenken. Nur bestimmte Ansichten und Erscheinungen prägen mich nun mal, und ich stehe zu ihnen. Was das „Zusammenführen“ betrifft, freut mich deine Einschätzung natürlich.  Das ist irgendwie meine Art, – eigentlich  schon seit meiner Kindheit. Da gibt es viele Beispiele in meiner Umgebung, die ich aufzählen könnte. Hättest du an meiner Geburtstagsfeier teilgenommen, könntest du Manches nachempfinden. Sebastian hat da wohl etwas von mir abgekriegt. Doch er wurde schon mehrfach enttäuscht und wollte die Flinte ins Korn werfen. Dann habe ich versucht, ihn zu ermutigen. Was dich betrifft, habe ich auch schon manchmal darüber nachgedacht, was du jetzt so mit „meinen“ Freunden unternimmst. Vom Grunde her freue ich mich darüber, dass man sich bzw. andere damit bereichern kann. Oft genug habe ich erlebt, dass sich dann viel „Eigendynamik‘ entwickelt  – C’est la vie. Was mich betrifft,  ist mir wichtig, auf vielen Säulen zu stehen und so die Vielseitigkeit des Lebens zu nutzen und zu genießen. Es ist meine Lebenserfahrung, nicht eine oder wenige Freundschaften zu pflegen, sondern möglichst viele, um mehr Teilmengen mit meinen Interessen zu finden. Dann können die Teilmengen auch gemeinsam durchaus intensiv werden. Gejubelt habe ich auch mal wieder auf meiner TransBayerwald-Tour, obwohl ich gemeinsam sicher mehr Freude daran gehabt hätte. Jetzt bereisen wir gerade das 3.Mal Ex- Jugoslawien und sind gerade aus Albanien kommend in Montenegro an einer Adria-Bucht angekommen, die wir uns morgen früh erbaden wollen. Mit Grit ist das anders: da leben wir gemeinsam unseren Erkundungs- und Menschen-Kennenlern- Drang aus. Außerdem ist unser rollendes Hotel eine  sichere Basis für alle Begebenheiten (einschließlich Camping), wodurch wir sehr spontan sein können… Schönen Gruß! Ronald

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